Mit Kreativität ins neue Normal

Kunstunterricht. 6. Klasse. Ich saß neben meiner Freundin Madeleine und wir sollten ein Bild zeichnen. Es gab da sicherlich ein Thema, das kurz umrissen wurde. So genau mag ich mich nach 27 Jahren nicht mehr erinnern. Jedenfalls sollten wir drauf los zeichnen. Unsere Kreativität sprühen lassen. Ich saß da vor dem weißen Blatt. Und dachte nach. Ich lugte zu meiner Banknachbarin und sah, wie jedes Mal, die Anfänge eines wunderschönen Bildes. Ich dachte weiter. Ein Einfall kam mir erst spät in der Stunde. Derweil staunte ich jedes Mal, welche wunderschönen Kunstwerke Madeleine im Unterricht vollbrachte. Ich selbst habe mich alles andere als kreativ und künstlerisch talentiert in Erinnerung. Ich wählte ein Studium mit einfacher Mathematik und plus-minus-Rechnung.

Erst Jahre später durfte ich erkennen, dass Kreativität so viel mehr sein kann. Kreativität ist die Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen, egal in welchem Terrain. Außergewöhnlich kreative Leistungen sind nicht nur die Decken- und Wandmalerei der sixtinischen Kapelle von Michelangelo, auch Kompositionen von Mozart und die Entwicklung der Relativitätstheorie von Albert Einstein gehört dazu. Kreative Leistungen können vielfältig sein und aus allen Domänen kommen.

Mit einer guten Portion Kreativität können einzigartige brauchbare Lösungen entstehen. Und vielleicht brauchen wir diese jetzt dringender denn je. Vielleicht geht es dir auch so und die derzeitigen herausfordernden Zeiten im Lockdown werfen Fragen auf, die sich nach Antworten sehnen. Warum dafür nicht ein bisschen Kreativität ins Spiel bringen? Warum nicht mit ein wenig Leichtigkeit nach Lösungen suchen?

Mihály Csíkszentmihályi forschte intensiv zum Thema Flow und Kreativität. Er interviewte dabei viele herausragende kreative Menschen und extrahierte Gemeinsamkeiten dieser. Nach seiner Ansicht sind kreative Leistungen ein Zusammenspiel zwischen der kreativen Person, das zu bearbeitende Thema wie auch anderen Personen, die sich mit dem Thema befassen. „Kreativität findet nicht im Kopf des Individuums statt, sondern in der Interaktion“, sagte er. Und auch andere Studien belegen, dass die Zusammenarbeit in der Gruppe in Sachen Kreativität bei weitem das Potenzial von Einzelkämpfern übertrifft. Wenn ich so zurückblicke, waren meine kreativsten Lösungen meist mit anderen entstanden. (Und vielleicht hätte ich im Kunstunterricht besser eine Gruppenübung starten sollen, als allein auf mein weißes Blatt zu starren?)

Csíkszentmihályi meinte weiter, dass auch der Ort und die Umgebung Einfluss auf den kreativen Prozess hat. Neben inspirierenden Plätzen, die zum Austausch mit anderen einladen, sind Rückzugsorte genauso wichtig. Die Rückzugsorte in der Natur lassen sich leicht finden, die Räume mit inspirierenden Menschen in Zeiten von COVID-19 sind da eher rar. Aber auch viele Meetups und Veranstaltungen haben ihren Weg ins digitale gefunden und bieten eine Plattform zum Zusammenkommen und Verbindungen stricken. Und auch wenn du, wie ich und wir alle in diesen verrückten Zeiten, in der Wohnung mehr oder weniger gefangen bist, Abwechslung tut der Kreativität verdammt gut. Vielleicht kennst du eine Ecke in deinem 15-Kilomaterradius noch nicht? Geh ihr doch auf die Spur. Kreativität entsteht besonders leicht, wenn wir aus unseren bekannten Schemata ausbrechen. Das können neue Orte sein, aber vielleicht auch neue Menschen, die du online kennen lernen kannst.

Laut Csíkszentmihályi sieht der kreative Prozess wie folgt aus: In der Vorbereitungsphase beschäftigt sich die kreative Person intensiv mit dem Problem, das Thema bzw. der Fragestellung und betrachtet es aus verschiedenen Perspektiven. Hier hilft auf jeden Fall der Austausch mit anderen. Danach folgt die Inkubationszeit. Das Unterbewusstsein arbeitet weiter, während wir eine Pause machen. Die Kognitionswissenschaft hat herausgefunden, das kreative Pausen den Prozess ungemein fördern. Und dann kommt er, der Aha-Moment. Es macht Klick und die Lösung oder eine Idee präsentiert das Gehirn auf dem Silbertablett. Diese Idee will noch hinsichtlich der Umsetzbarkeit bewertet werden, um anschließend umgesetzt zu werden.

Mit Kreativität ins neue Normal, ich lade dich ein, auf ein kleines Experiment. Was ist gerade dein drängendstes Problem? Zu welcher Fragestellung brauchst du einen kreativen Einfall? Vielleicht magst du die hier gesetzten Impulse wie folgt ausprobieren:

  1. Schreibe dein Problem / das Thema / die Frage auf ein Blatt Papier. Setze dich damit auseinander. Unterhalte dich darüber mit anderen. Nimm eine andere Sichtweise z.b. von Personen ein, die ebenfalls von dem Thema betroffen sind. Wie sehen diese das Problem? Wie wurde es vielleicht schon von anderen gelöst? Dazu gibt es bestimmt ganz viel Material. Mach dir eine Mindmap.
  2. Gönne dir eine Ruhepause für dein Thema. Gehe eine Runde spazieren, geh raus in der Natur. Beschäftige dich erst mal mit anderen Themen. Mache eine kreative Pause.
  3. Entweder du wartest auf den Aha-Moment oder du hilfst der Kreativität etwas auf die Sprünge: entwickle Ideen, so viele wie möglich. Dabei gibt es kein richtig oder falsch.
  4. Welche passt am besten zu dir und zu dem Problem? Bewerte die Ideen, such dir eine aus und formuliere ein Experiment daraus.
  5. [Lass mich wissen, wie es ausgegangen ist 😊]

Vielleicht geht es dir auch so wie mir damals in der 6. Klasse. Du meinst, du bist nicht kreativ und die Ideen wollen nicht sprudeln. Kreativität ist Talent wie auch Entwicklung. Jeder und jede von uns hat ein kreatives Gen in sich. Bei dem einen ist es stärker ausgeprägt, bei der anderen weniger. Es kann sich entwickeln. Es bedarf Übung dafür. Kreativität ist Talent und Übung gleichermaßen.

Ich selbst zeichne mittlerweile sogar sehr gern. Und ich mag es sehr, kreative Lösungen für vertrackte Problemstellungen gemeinsam mit anderen zu finden. Dabei trainiere ich mein kreatives Gen. Wie sieht es bei dir mit der Kreativität aus? Kreativität, im Kleinen wie im Großen, ist ein Geschenk, mit dem wir unser neues Normal und die ganz alltäglichen Probleme meistern können.


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