Eine dienende Haltung – ablehnend oder anziehend?

Eine dienende Haltung - ablehnend oder anziehend?

Es ist 7:45 Uhr, ich wische den Boden im Konnektiv62 und koche Kaffee für die kommenden Gäste, die unseren Co-Working Space für ihre Besprechung nutzen wollen. Ich tue es gern, mit voller Hingabe. Ich möchte, dass sich die Menschen wohlfühlen, die zu uns kommen. Hierfür diene ich.

Rückschau, 15 Jahre zuvor, angestellt mit dem Titel „Assistenz der Geschäftsführung“, später in Verantwortung der „Leitung des kaufmännischen Bereiches“ eines erfolgreichen Mittelständlers. Wenn mich damals jemand gebeten hätte, den Kaffee für die Besprechungen zu bringen, hätte ich mich degradiert gefühlt. Damals noch mit einem anderen Wertesystem und einer anderen Weltanschauung ausgestattet, tat ich mich schwer, vollumfänglich dienend zu handeln. Ich wollte die großen Projekte rocken, ich wollte mich nicht auf die kleinen Dinge abstellen lassen.

Was ist anders? Was hat sich geändert? Und welche Haltung braucht unsere Wirtschaft wirklich?

Was ist anders: es macht einen Unterschied, ob ich aus mir heraus freiwillig dienend agiere oder ob es mir aufgetragen wird. Da bietet die Selbständigkeit genügend Spielraum. Aber auch in den letzten Jahren als Angestellte habe ich aus mir heraus gern alles getan, damit die Menschen um mich herum eine gute Arbeitsumgebung vorfinden.

Was hat sich geändert? Mein Wertesystem hat sich innerhalb der 15 Jahre von einer absoluten leistungsorientierten Herangehensweise hin zu Mitmenschlichkeit gewandelt.

EXKURS: Das Wertesystem nach Spiral Dynamic

Menschen, Kulturen und natürlich Organisationen tragen unterschiedliche Werte in sich. Diese Werte haben immensen Einfluss auf das Fühlen, Denken und Handeln in bestimmten Situationen. Der amerikanische Psychologieprofessor Dr. Clare Graves unterscheidet sieben intuitiv erkennbare Wertemuster, die sich im Verlauf des Lebens verändern. Basierend auf diesen wissenschaftlich fundierten Studien ordnet das Wertesystem nach Spiral Dynamics jeder Wertekategorie eine Farbe zu:1

ROT – Macht
Es geht um Willen, Durchsetzungskraft und Eroberung, die Macht über sich selbst, andere und die Natur, egozentrisches bis ausbeuterisches Verhalten wie auch Heldentum, Mythen und impulsives Handeln.

BLAU – Ordnung
Religionen und Gesetz schaffen Sicherheit und Stabilität, es entsteht moralisches Denken in „Gut und Böse“, Gehorsamkeit gegenüber Autorität und eine Verpflichtung zum höheren Sinn.

ORANGE – Erkenntnis
Wissenschaft und Ökonomisierung schaffen Erkenntnis und materielle Erfolge und beherrschen Politik und Gesellschaft. Effizienz und Industrialisierung ergeben den Erfolgreichen Autonomie und Ansehen. Alle Möglichkeiten werden genutzt, um das eigene Leben zu verbessern.

GRÜN – Gemeinschaft
Hier geht es um zwischenmenschliche Beziehungen, Achtsamkeit gegenüber sich selbst und anderen, eine gleichberechtigte Gesellschaft und Nachhaltigkeit, soziale Netzwerke und die Entwicklung eines eigenen Weltbildes.

Kulturelle und individuelle Entwicklungsstufen nach Spiral Dynamics
Abbildung: Kulturelle und individuelle Entwicklungsstufen nach Spiral Dynamics

In meinem damaligen Angestelltendasein war ich gern eine Workaholikerin. Ich bin in der orangenen Welt aufgegangen. Ich wollte etwas bewirken, etwas leisten, vorankommen, stetig neue Themen erkunden, Effizienzen ausloten und Erfolge feiern.

Mit der Zeit kam eine grüne Facette immer mehr zum Vorschein. Die Empathiefähigkeit und das Mitgefühl für andere wurde stetig stärker. So ist es nun meine innige Intention in unserer Wirkungsstätte des Konnektiv62, dass sich die Menschen wohlfühlen. Und dabei will ich keine Unterschiede mehr zwischen den Menschen mehr machen – ob Chef oder Lehrling, jede:r ist bei uns gleich willkommen.

Das war bisher meine Entwicklung. Wie ist deine? In welcher Werteebene findest du dich am stärksten wieder? Welche Werteebene lehnst du (noch) ab? Alle Werteebenen haben ihre Berechtigung und ihre einzigartige Qualität. Es gibt kein besser oder schlechter. Und zugleich ist und bleibt dieses Wertesystem ein Modell, eine Vereinfachung der Wirklichkeit. Aber es hilft, die dienende Haltung näher zu beleuchten:

Zurück zur grünen Facette der Werteebene – die dienende Haltung ist hier tief verankert. Unter den Agilisten ist das Konzept des Servant Leader als Führungskraft weit verbreitet. Der Servant Leader richtet sich in seiner Führung kompromisslos auf die Interessen der Geführten aus. Die Führungskraft sieht sich als Dienerin, die helfen möchte. Und damit stellt es aus meiner Sicht die bisherige Rolle der Führungskraft wahrhaftig auf den Kopf.

Was ist besser? Die starke Persönlichkeit, die mit ihrer Autorität Berge versetzt? Die Führungskraft, die mit Regeln Orientierung bietet? Oder die Person, die mit KPIs zu effizienten Ergebnissen führt? Oder doch der Servant Leader?

Meine persönliche Meinung: sowohl als auch. Manchmal braucht es Macht, manchmal Regeln & Prinzipien, und dann gibt es Situationen, wo die Leistungsbereitschaft im Vordergrund stehen sollte. Die wirklich gute Führungskraft kann je nach Situation und Gegenüber die Facette spielen, die gerade gebraucht wird. Sie beherrscht die Klaviatur der unterschiedlichen Werteebenen.

Und doch wird aus meiner Perspektive die Wirtschaft eine andere, wenn wir Menschlichkeit und Mitgefühl kultivieren. Wenn wir als Individuum und Organisationen die volle Palette der Farben aus der grünen Facette spielen. Dann können wir mit dieser Farbenpracht der Komplexität unserer Zeit angemessen gegenübertreten.


QUELLEN:

1 Enzler, S,. u.a.: Logbuch – Wandel in deiner Organisation integral gestalten, S. 52/53, in Anlehnung an Don Edward Beck und Christopher Cowan: Spiral Dynamics, Leadership, Werte und Wandel: Eine Landkarte für Business, Politik und Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

Yvonne Horn

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