im Portrait: Anja Wittenberger – Detektivin für wirksame Arbeit

Spannende Minuten mit einem Einblick in die Arbeit von Anja Wittenberger alias Detektivin W – Detektivin für wirksame Arbeit liegen vor uns. Liebe Anja, Detektivin W – wie kam es zu diesem Pseudonym und welche Aufgabe steckt hinter diesem Namen?

DETEKTIVIN W: Als ich mich selbständig machte, setzte ich mich intensiv mit meinem eigenen Profil auseinander. Ich blicke von Natur aus gern hinter die Fassade, will Situationen und Motive ganz genau verstehen, ähnlich wie eine Detektivin. Wenn etwas im Unternehmen „schief“ läuft, ein Problem auftaucht, also ein „Verbrechen“ begangen wird, wenn etwas richtig weh tut, dann will ich gern genau wissen, woran das liegt. Ich gebe mich nicht damit zufrieden, nur auf die Symptome zu schauen und an Ihnen rumzudoktern. Ich will vor allem herausfinden, wie es zu dem Verbrechen kommen konnte. Wie kann es bspw. sein, dass ein Unternehmen unproduktiv ist, dass sich Menschen dennoch permanent in einer Überlastungsschleife befinden, oder ähnliches. Na und, dann geht es darum, den Täter zu ermitteln – also die Ursache von all dem. Das können unpassende Arbeitsstrukturen sein oder Kommunikationsprozesse, die ins Leere laufen und oft hinderlich Rahmenbedingungen.

Mein Treiber ist dabei die wirksame Arbeit. Menschen, die in Gruppen zusammenarbeiten, sollen einen echten Beitrag leisten können statt sich an der Organisation abzuarbeiten. Dabei kann Wirksamkeit von Organisation zu Organisation, von Team zu Team etwas Unterschiedliches bedeuten.

Was bedeutet für dich Wirksamkeit?

DETEKTIVIN W: Ich fühle mich wirksam, wenn die Kundenorganisation einen Shift machen kann, ihr Thema, die Ausgangsfrage, gelöst ist und letztlich produktiver, erfolgreicher und/oder menschenverträglicher agieren kann. Zum Beispiel beim Thema Überlast geht es darum die Zusammenarbeit so zu gestalten, das sie nicht weniger erfolgreich ist sondern es gelingt, dass der Erfolg nicht auf Kosten der einzelnen Menschen aufgebaut ist. Manchmal liegt die Wirksamkeit in meinem Tun auch „nur“ in der Spiegelung konkreter Probleme und im Aufzeigen der Hintergründe. Was mir immer ein Anliegen ist, die Unternehmen in die Lage zu versetzen, ihre Organisationsentwicklung selbst systematisch, klug und bewusst als kontinuierlichen Prozess zu gestalten.

Ich will kein Strohfeuer löschen, sondern in den Unternehmen dabei unterstützen Fähigkeiten zu entwickeln. U.a. von innen heraus Organisationsgestaltung als kontinuierliche Führungsaufgabe zu begreifen und umsetzen.

Ich schätze deine Arbeit sehr. Das, was du tust und wie du die Themen betrachtest. Wie gehst du ganz konkret vor, wenn das Unternehmen mit einem bestimmten Schmerz bei dir anklopft?

Zu Beginn ermittle ich das konkrete Thema – ich will verstehen, was stört. Dabei kann das erste Gespräch im Rahmen einer Auftragsklärung schon sehr erhellend sein. Ich will nicht nur auf einer abstrakten Ebene, sondern ganz konkret verstehen: wo hindert euch was? Was muss gelöst werden? Das kann der Wunsch nach besserer Zusammenarbeit sein, oder auch Konfliktsituationen oder der Wunsch, die eigenen Ziele mit dem Team zu erreichen. Dabei lege ich selbst Messgrößen fest.  Daran knüpft sich der erste Stepp.

Da es ein langfristiger Prozess ist, ist ja die Frage: Was können wir jetzt tun, damit wir in irgendeiner Art und Weise in den Prozess einsteigen und eine Bewegung in die richtige Richtung erzeugen. Und dann zeigt sich oft in der ersten Phase der Begleitung: Wo ist das System außerhalb des Einflussbereiches der Führungskraft Ursache der Probleme und was ist innerhalb ursächlich für den Schmerz? Und mit dieser Unterscheidung kann ich ermitteln, was liegt im Handlungsspielraum und womit müssen wir anders umgehen lernen? Bei letzterem kann ich die Themen entweder nach außen kommunizieren und ins Gespräch gehen oder aber wir finden einen Weg, anders mit den bestehenden Strukturen umzugehen.

Es geht immer um Handlungsfähigkeit. Das ist mein Versprechen an meine Kunden. Egal wer mich beauftragt: es geht darum, dass du in dem Moment durch das, was wir zusammen machen, handlungsfähiger wirst.

Wenn du Interventionen einleitest, bist du sicherlich auch mit Widerstand konfrontiert, mit dem Immunsystem des Unternehmens. Wie gehst du damit um?

DETEKTIVIN W: Meine Brille der Systemtheorie sagt mir, Widerstand ist voll ok: Das System sorgt dafür, sich selbst zu erhalten. Sobald du das System ins Wanken bringen willst, wird es darauf reagieren. Das ist erlebbar in Form von einzelnen Verhaltensweisen von Menschen.

Für mich war das eine Lernaufgabe in den letzten Jahren: Wir haben gute Dinge mit dem direkten Auftraggeber ausgearbeitet, aber es verfängt sich nicht in der Organisation. Und auch hier hilft die detektivistische Herangehensweise: Wir müssen verstehen, wo bestimmte Muster in der Organisation den Widerstand auslösen und welchen Nutzen diese stiften. Zum Beispiel begleitete ich ein Unternehmen, in dem Standardisierung nur ganz zäh möglich war. Es wurde gewünscht und gewollt, aber gleichzeitig von der Organisation abgelehnt. Dann haben wir herausgefunden, dass die Organisation vermutlich über 50, 60 70 Jahre hinweg über sich selbst etwas Wichtiges gelernt hatte, „Wir können Krise, wir sind gut im Krisenmodus zu agieren. Krisen können uns nichts anhaben.“ Also warum sollte die Organisation sich systematisch mit Transparenz und Standardisierung beschäftigen. Es ging immer gut. Die Organisation hatte schlichtweg kein Interesse an „soliden Prozessen und Regelungen“. Mit der Erkenntnis zu dem Muster konnten Engagierte entlastet werden und bewusst ein anderer Weg gestaltet werden. Das war knifflig, aber die Mitarbeitenden selbst finden dann passende Weg wie es gelingen kann.

Oft kommen die konkreten Ideen in der Umsetzung von den Menschen innerhalb des Unternehmens. Ich gebe Ihnen eher den Denkraum und passenden Rahmen dafür. Sie können Dinge besser benennen, die in der konkreten Arbeit verändert werden können. Sie kennen sich viel besser in ihrem fachlichen Metier aus.

Das Wissen liegt in der Organisation und bei den Mitarbeitenden, das ist auch meine Erfahrung.

Was sie nicht einfach herausfinden, sind die Ursachen für die Probleme. Die Mitarbeitenden sind ja Teil des Systems. Von außen als Berater:In ist es möglich die Probleme zu ergründen und hinderliche Muster zu spiegeln.

Manchmal ist es in der Praxis so, dass ich ein Bauchgefühl der Mitarbeitenden bestätige. Es kommen dann Aussagen wie: „Na klar, ich habe das immer gefühlt, ich konnte das nie benennen.“ Meine Spiegelung der Ermittlungsergebnisse ist wie so eine Art Entlastungsprozess für alle. Da kommt jemand, und hat den „Täter“ ermittelt, der selten im Menschen, sondern vielmehr im System liegt. Oder sind die Zwänge, die seine Rolle mitbringen, die den Menschen dann unlogisch oder unpassend handeln lassen.

Und zugleich hast du ein Ermittlertraining aufgesetzt, wo du Führungsmenschen dieses Handwerkszeug mitgibst, so dass selbst ihre Organisation gestalten können.

Das Ermittlertraining kam aus einem Bedürfnis nach Wirksamkeit heraus. Manchmal können oder wollen die Unternehmen kein großes Beratungsbudget in die Hand nehmen, sondern selbst agieren. Das ist nach dem Ermittlertraining möglich.

Ich hatte mich gefragt, kann das, was ich seit Jahren tue in einer Methode abgebildet werden? Es geht, nicht alles, aber es ist möglich, nach dem Ermittlungstraining Probleme besser zu verstehen. Das Training startet mit ein paar Wissensimpulse von mir, welche Modelle und welche Werte hinter meiner Beratung stecken. Zum praktischen Anwenden haben wir eine Art Escaperoom geschaffen, wo dieses Vorgehen an einem realistsichen Fall erprobt werden kann, eine ganz konkrete Tatortermittlung also. Es ist ein spielerischer Ansatz, um die neuen Fähigkeiten in der Organisationsentwicklung direkt LIVE und ganz praktisch zu erleben.

Es ist bewusst ein offenes Training. Hier liegt der Vorteil darin, dass die Menschen aus unterschiedlichen Organisationen zusammenkommen und sich vernetzen. Es ist wie eine Horizonterweiterung. Als Führungskraft bist du viel mit deinesgleichen in deiner Organisation, du bist immer in deinem System. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn Menschen aus verschiedenen Branchen, vielleicht auch aus verschiedenen Führungsebenen zusammenkommen, ein großer Mehrwert durch den Austausch entstehen kann. Das wurde mir bei den beiden Prototypen auch so bestätigt.

Eine letzte Frage habe ich noch: liebe Anja, du machst Beratung, Prozessbegleitung und bietest das Ermittlertraining an. Wie kommen jetzt Unternehmen in so einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess?

Wir fangen dort an, wo der Schmerz ist, wir schauen hin und erforschen die Ursachen. Ich nutze in meiner Arbeit gern den agilen Ansatz. Statt einer Produktvision gibt es ein übergeordnetes Ziel  dem der OE-Prozess dient. Dieses übergeordnete Ziel ist zugleich auch ein Rahmen, der nach außen kommunizierbar ist.

Und dann besteht die Aufgabe darin, zielgerichtet und fokussiert in kontinuierlichen kurzen Zyklen von 2-3 Monaten ganz konkrete Aktivitäten umzusetzen. Und dann natürlich zu beobachten, wie die Organisation und ihre Mitglieder darauf reagieren.

Diese Kontinuität aufzubauen, hat viel mit Disziplin zu tun. Es ist ein Einlassen auf Zyklen regeneratives Arbeiten. Eine Woche, ein Monat, das Jahr – das sind Zyklen die bewusst und bedacht genutzt werden können. Wir können hier viel von der Natur lernen.

Es ist spannend zu erforschen, wie das System am besten lernen kann? Welche Lernzyklen passen zu unserem Takt? Hier braucht es für das jeweilige System eine eigene Gestaltung des Rhythmus in dem OE-Prozess.

Ich habe letztes Jahr mit einem Kunden angefangen zu arbeiten. Ich startete mit der Illusion, dass unser erster Zyklus ein Monat dauert, um die ersten kleinen Aktivitäten umzusetzen. Diesen Monat brauchten wir jedoch alleine schon, um freien Lücken im Kalender der Beteiligten zu finden. Wir haben also gelernt, dass es in diesem Unternehmen 3-4 Monate braucht, um Aktivitäten umsetzen und Fortschritt erreichen zu können. Dann ist das erst mal so.

Aber der wiederkehrende Zyklus ist das relevante. Natürlich wäre es gut, irgendwann im Laufe des Prozesses auf einen kürzeren Takt zu kommen. Doch es macht keinen Sinn, gegen den Takt der Organisation anzurennen. Die Zyklusdauer muss bei jeder Organisation miteinander herausgefunden werden.

Es geht darum, einen Wert zu schaffen und nicht nur irgendeine Methode anzuwenden oder Theater zu spielen, indem das Unternehmen sich Monat für Monat was vornimmt und am Ende enttäuscht ist, wenn sie nicht vorangekommen sind.

Ganz herzlichen Dank für diese Einblicke. Wahrscheinlich hätten wir noch ewig weiter reden können. Aber das, tun wir sicherlich an anderer Stelle wieder.